Franonia's Feather
~ 3 ~
Ich weiß nicht, wie lange wir so dasitzen, aber irgendwann versiegen meine Tränen und ich beruhige mich.
Ich löse mich von Nathalie und sie lächelt mir aufmunternd zu.
Ich stehe auf, schnappe mir ein Zewa und mache mein Gesicht sauber.
„Ich hole dir ein trockenes T-Shirt.“
Ich gehe schnell in mein Zimmer und hole, dass größte Shirt was ich finden kann und gebe es Nathalie.
„Das Bad ist gleich im Flur links. Es tut mir leid, meinet wegen bist du pitschnass.“
„Nicht schlimm. Ich gehe mich schnell umziehen!“
Ich nicke und sie verschwindet im Bad.
Ich kann es nicht fassen, dass ich gerade so dermaßen die Fassung verloren habe.
Und dass ausgerechnet bei Nathalie. Dahin sind meine Vorsätze, sie schafft es echt immer wieder.
Ich lehne mich an die Küchenzeile und sehe aus dem Fenster.
Nathalie sollte nicht hier sein, sie hätte niemals zu mir nach Hause kommen sollen.
Mein innerer Kampf tobt nach wie vor in mir. Mein persönlicher Abgrund ist immer noch da und wird immer verlockender. Die Dunkelheit ruft nach mir und ich bin bereit ihr zu folgen.
„Hey.“, sagt Nathalie vorsichtig und streichelt mir über den Oberarm.
„Hey.“, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln.
„Was du vorhin gesagt hast…“
„War mein voller ernst!“, unterbreche ich sie.
„Ich weiß, aber du hast unrecht, Lauren. Du bist mir wichtig, wir sind mehr als Kollegen und ich helfe dir gern. Du wirst mir nie auf die Nerven gehen und ich werde auch nie denken, dass du mich nur ausnutzt. Das wird nie passieren. Du meldest dich nicht, um mich zu schützen. Doch weil du mich ignorierst, tust du mir damit weh. Ich werde dich zu nichts zwingen, aber ich bin immer für dich da, ob nun hier oder in Aegnor. Du bist nicht allein. Ich habe dich lieb.“, sagt Nathalie ruhig und nimmt mich erneut in die Arme.
„Du lässt niemals locker, oder?“, frage ich und löse mich von ihr.
„Nope.“
Ich verdrehe die Augen und sie lacht.
„Und was machen wir jetzt?“, frage ich.
„Keine Ahnung, sag du es mir.“
„Okay, ich mache mich schnell frisch, dann holen wir Rosalie ab und wir drei gehen was essen. Ich lade euch ein.“, sage ich.
Nathalie will widersprechen, ich unterbreche sie sofort. „Keine Widerrede, das ist ein danke schön. Akzeptiere es einfach.“
Ich gehe schnell ins Bad, mache mich frisch und schreibe Maia und Chloey, zwei ehemalige Kollegen, die auch schon mit den Auftraggebern zusammen gearbeitet haben, eine Nachricht, ob sie spontan Zeit hätten und zum Essen dazustoßen wollen. Sie bestätigen sofort. Ich reserviere noch schnell einen Tisch und dann gehe ich zurück zu Nathalie.
Eine Stunde später stehe ich vor dem Hotel und warte auf Rosalie und Nathalie.
Als Rosalie und Nathalie durch den Eingang treten, breitet sich ein Lächeln auf Rosalies Gesicht aus.
„Lauren!“
„Hallo Rosalie. Ich entschuldige bitte mein Verhalten vorhin im Büro.“, sage ich etwas wehmütig.
„Schon okay. Du hattest deine Gründe und so wie Nathalie drauf war, glaube ich, dass es etwas mit ihr zu tun hatte.“, sagt sie freundlich.
„Kann man so sagen ja.“, gestehe ich.
Rosalie und ich umarmen uns zur Begrüßung.
„Aber es ist ja jetzt alles geklärt, oder?!“, meint Nathalie, wobei sie das letzte Wort besonders drohend betont.
„Hmmm, fürs erste.“
Schwubs, so schnell habe ich mir eine gefangen.
„Okay, okay! Schon gut, ja es ist geklärt.“, sage ich schnell und reibe mir den Oberarm.
„Tats weh? Sehr gut!“
„Unbezahlbar!“, meine ich und Rosalie lacht.
„Lasst uns gehen, bevor ich noch verprügelt werde.“, sage ich und setze mich in Bewegung.
Wir laufen zum Restaurant und dabei zeige ich den beiden etwas von der Stadt.
Wir erreichen das Restaurant und ich bleibe vor der Tür stehen. Maia und Chloey sind schon da, sie haben mich per WhatsApp informiert.
Ich bleibe vor dem Eingang stehen.
„Ich hoffe ihr seid mir nicht als zu böse, aber ich habe noch eine klitzekleine Überraschung für euch.“, sage ich.
„Was hast du angestellt?“, fragt Nathalie.
„Folgt mir einfach!“
Ich betrete das Restaurant und die beiden folgen mir.
„Maia und Chloey kenn ihr ja noch. Ich dachte ihr würdet euch freuen, sie wieder zu sehen. Gott sei Dank, hatten die beiden spontan Zeit.“
Rosalie und Nathalie freuen sich riesig über die Überraschung und wir erleben einen entspannten und lustigen Abend, als plötzlich mein Handy klingelt.
Shane….
Sofort gefriert mir das Blut in meinen Adern.
„Entschuldigt mich kurz.“, sage ich und gehe aus dem Restaurant.
Ich entsperre mein Handy und rufe Shane zurück.
„Lauren…“
„Was willst du?“, frage ich wütend.
„Sorry, für die Störung, aber ich wollte wissen, wie es dir geht.“
„Ist das dein Ernst? Nach dieser langen Zeit, ohne ein Lebenzeichen von dir, rufst du mich an und fragst mich diesen Scheiß?“, knalle ich ihn an den Kopf.
„Tut mir leid, es war eine blöde Frage.“
„Ach was!“
„Aber ich rufe nicht nur deswegen an.“
„Sondern?“, frage ich genervt.
„Wegen meiner Mutter…“
Oh nein…
„Was ist mit ihr?“, ich bin sofort auf Alarmbereitschaft.
„Sie wurde heute ins Krankenhaus geliefert, es ist nichts Ernstes, aber ich dachte du würdest es wissen wollen. Immerhin habt ihr euch immer sehr gut verstanden.“, meint er.
„Sie hat mit unserer Sache nichts zu tun. Wo liegt sie?“, frage ich geschockt.
Noch ein weiterer Schicksalsschlag. Wieviel kann ein Mensch ertragen? Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr.
Shanes Mutter ist für mich wie eine Mutter. Ich mag sie sehr gern.
Shane gibt mir die gewollten Informationen und wir legen auf.
„Alles okay? Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast.“
Natürlich, Nathalie ist mir gefolgt.
„So was in der Art. Shane hat angerufen…“, gebe ich zu.
„Und du gehst ran?“, fragt sie vorwurfsvoll.
„Ich hatte so ein komisches Gefühl, er ruft sonst nie einfach so von sich aus an.“
„Und?“
„Seine Mutter liegt im Krankenhaus, es ist wohl nichts Ernstes. Sie bedeutet mir viel und hat nichts mit unserer Sache zu tun.“
„Und jetzt weißt du nicht, was du tun sollst?“
„Doch, ich werde sie besuchen fahren, sie war wie eine zweite Mutter für mich.“
„Das verstehe ich, aber ich halte es für keine gute Idee.“, meint Nathalie.
„Ich weiß! Aber ich werde es trotzdem tun. Ich werde morgen nach der Arbeit zu ihr fahren. Aber jetzt verdränge ich das erst mal und genieße den restlichen Abend mit euch.“, sage ich und lächle ihr zu.
Ich hacke mich bei Nathalie unter und wir gehen zurück zu den anderen.
Der weitere Abend verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Zur fortgeschrittener Stunde verabschieden wir uns und alle machen sich auf den Weg.
Zu Hause angekommen, falle ich sofort ins Bett.
Am nächsten Morgen stehe ich wieder früh auf, mache mich fertig und fahre zur Arbeit. Diesmal läuft alles ohne Probleme, sogar die Besprechung mit Rosalie und Nathalie bringe ich reibungslos über die Bühne.
Am Abend fahre ich ins Krankenhaus, um meine Ex-Schwiegermutter zu besuchen.
Ihr Anblick treibt Erinnerungen an meine Oma an die Oberfläche. Ich schüttele den Kopf und versuche die Bilder zu verdrängen.
„Du bist wirklich gekommen“, stellt sie erstaunt, aber erfreut fest.
„Natürlich Teresa. Das mit Shane und mir, hat nichts mit dir zu tun. Du bist ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben, auch wenn wir nur noch sehr wenig Kontakt haben.“, sage ich und setze mich zu ihr ans Bett.
Wir unterhalten uns eine Weile und ich bedanke mich bei ihr für die großartige Zeit. Ich gestehe ihr, dass sie und ihr Mann mir fehlen werden. Ich breche in Tränen aus und sie versucht mich zu trösten.
Ich bleibe noch einem Moment, bis ich mich wieder beruhigt habe, ehe ich wieder nach Hause fahre.
Ich setze mich auf das Bett und lasse den Tränen freien Lauf.
Ich kann so nicht weiter machen. Ich kann diesen Schmerz nicht mehr ertragen. Ich habe meine zweite Familie auf einen Schlag verloren. Ich bin am Ende und habe keine Kraft mehr zu kämpfen.
Ich sehe zu meinem Nachtschrank.
Zeit sich in den Abgrund zu stürzen und die Dunkelheit willkommen zu heißen.
Ich stehe auf, hole eine Flasche Wasser und befreie die Tabletten aus ihrer Verpackung.
Ich nehme diese und spüle sie mit Wasser runter und lege mich auf das Bett.
Vergib mir Nathalie…
Ich schließe die Augen und lasse mich von der Dunkelheit umarmen…
~ Ende ~